Split Brain-Modell
Aufgrund seiner anatomischen und medizinischen Untersuchungen des menschlichen Gehirns unterschied Roger Sperry in seinem Geschichte gewordenen Split-Brain-Modell nicht nur anatomisch zwischen zwei Großhirnhälften, sondern auch funktional zwischen zwei „Denk- und Verhaltenstypen": logisch-analytische Menschen ("Linkshirnler") und phantasievoll-intuitive Personen ("Rechtshirnler"); für diesen Ansatz wurde Sperry 1981 mit dem Nobelpreis für Medizin/ Physiologie ausgezeichnet.
-
Inhaltsverzeichnis |
Ausführungen
Das Modell besaß, obwohl schon Mitte der 70-er Jahre entworfen, lange Gültigkeit; es findet auch heute noch in nahezu jedem Buch über Kreativität Eingang und dient noch immer als Basis für ein stark vereinfachtes Gehirnmodell und einen oft ebensolchen sehr vereinfachenden digitalen oder sogar polaren Ansatz (schwarz-weiß, Linkshirn-Rechtshirn, Logik-Phantasie), versus einem analogen Denken, in dem mehr als zwei Möglichkeiten vorkommen.
Kritik
Bei allen Verdiensten, die dem Modell zukommen, ist dazu aus heutiger Sicht (Stand 2010) dreierlei anzumerken:
- Sperry machte seine Untersuchungen nur an Epileptikern, niemals an Menschen ohne neuronale Störungen.
- Die Wissenschaft zeichnet aktuell ein viel komplexeres Bild des Gehirns und weiß mittlerweile auch, dass beim Ausfall einer Gehirnhälfte alle Funktionen ohne wahrnehmbare Einschränkungen von der anderen übernommen werden können. Weltweit sind aktuell (Stand 2013) mindestens 3 Fälle von Menschen bekannt, die (wahrscheinlich von Geburt an) nur über eine einzige (!) Gehirnhälfte verfügen - ohne dass neuronale oder funktionale Einschränkungen erkennbar wären; weitere Ausnahmen s. unter "Besonderes".
- Das Gehirn besitzt eine Vielzahl von Arealen und Regionen, deren Funktion bis heute nur in Ansätzen erforscht sind.
Vorteil
Der Vorteil des Split Brain-Ansatzes war es, dass er ein grundlegendes Paradigma schuf für die Vielfalt neuronaler Fähigkeiten und gleichzeitig eine, zumindest in den Anfängen der Gehirnforschung zulässige praktische Vereinfachung anbot.
Nachteil
Als Nachteil - der dem Modell selbst nicht angelastet werden kann - kann man verstehen, dass das Split Brain-Modell unzählige Male als "Beleg" für eine vermeintliche funktionale Unterscheidung der beiden Großhirnhälften herangezogen wird, obgleich diese pauschale Vermutung von Sperry ursprünglich so eindeutig nie getroffen wurde, und die Behauptung als solche auch seitdem mehrfach widerlegt wurde.
Besonderes
Mittlerweile (Stand 1913) sind etliche Fälle bekanntgeworden, von ...
a) ... Menschen, die von Geburt aus nur über eine Gehirnhälfte verfügen;
b) ... Menschen, bei denen eine Hemisphärenrektonomie (neurochirurgische Entfernung einer Gehirnhälfte) vorgenommen wurde.
In allen Fällen wurde festgestellt, dass die Gehirne voll funktionsfähig waren und die Funktionalität der entfernten Anteile substituieren konnten.
Literatur
- Terence Hines: Left Brain/Right Brain Mythology and Implications for Management and Training. in: The Academy of Management Review, Vol. 12, No. 4 (Oct., 1987), pp. 600-606
- Annika Röker: Wenn eine Gehirnhäfte für zwei arbeitet auf: Spektrum.de, 2019.11