Geniemythos
Als Geniemythos wird der Kreativitätsmythos bezeichnet, nach dem Kreativität und kreative Leistungen überhaupt nur bei wenigen Auserwählten, besonders Talentierten bzw. Begnadeten anzutreffen ist und als kreativ zu bezeichnen ist. reine Zufälle sind und auf keinen Fall willentlich geplant oder gar bewusst oder systematisch gesteuert werden können.
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Gegenstand
Wie alle Mythen ist auch der Geniemythos ein generalisierender Glaubenssatz, d.h. eine unbewiesene Vorannahme bzw. eine verallgemeinerndere subjektive Erfahrung.
Die zugrundeliegende ältere Behauptung ist: Kreativität zeichnet nur wenige herausragende Menschen aus (die von der Muse geküsst sind); bei Normalsterblichen kommt diese Gabe nicht vor.
Basis
Historisch gesehen entstand der Geniemythos etwa gemeinsam mit dem "Göttliche Inspirations-Mythos" - also zu einer Zeit, als Kreativität auch eher Bereichen wie z.B. der Kunst zugerecht wurden; die Absichtliche Kreativität, bei der kreative Leistungen sehr wohl bewusst, systematisch und nachhaltig ausgelöst, entwickelt und trainiert werden kann, war zu dieser Zeit als eigenständiges Feld noch nicht bekannt.
Der Geniemythos hat sich u.a. dadurch lange Zeit gehalten, dass es weder der Kreativitätsforschung noch dem Kreativitätsmanagement bis heute (Stand 2015) gelungen ist, sich auf eine einheitliche Rahmendefinition bzw. ein einheitliches Begreifen des Konstrukts Kreativität insgesamt bzw. der persönlichen Kreativität im Speziellen zu verständigen.
Konkrete Auswirkung
Die Auswirkungen sind, dass es bis heute Vertreter dieses Mythos gibt, die Kreativität als etwas so Außergewöhnliches darstellen, das es nur wenige Menschen (eben Genies) auszeichnet. Unabhängig davon, dass es (wie in jedem Feld so auch in der Kreativität) sicherlich nur einige wenige herausragende Köpfe gibt (i.S. einer Hochbegabung), wird bei Anhängern dieses Mythos außer Acht gelassen, dass eine "Grundportion" an Kreativität (i.S. einer Normalbegabung) jedem Menschen von Natur aus mitgegeben wird - was die britische Wissenschaftlerin Margaret Boden in ihrem Modell Dimensionen der Kreativität durch die Unterteilung in H-Kreativität und P-Kreativität schlüssig und nachprüfbar dargestellt hat.
Aktueller Erkenntnisstand
Der aktuelle Erkenntnisstand der Kreativitätsforschung ist:
- Kreativität ist eine normale menschliche Fähigkeit, die von Geburt aus vorhanden ist.
- Wie bei jeder menschlichen Fähigkeit gibt es bezüglich ihrer Aktivierung sowohl Zufalls- wie auch Absichtsaspekte.
- Kreativität, namentlich die absichtliche Kreativität, setzt sich aus verschiedenen, definierbaren Anteilen zusammen, die jeweils bewusst und systematisch angesteuert und weiterentwickelt werden können.
Beweisführung
Der Glaubenssatz lässt sich dadurch widerlegen, dass (abhängig vom jeweiligen Kreativitätsverständnis) allerdings kreative Leistungen im Kleinen (weniger schöpferischer, als eher problemlösender Natur) vielfach im Alltag bei "gewöhnlichen Menschen" auftauchen und dokumentiert sind.
Allgemeiner Hintergrund
Prägung
Glaubenssätze sind generalisierende Vorannahmen über einen bestimmten Sachverhalt. Sie entstehen häufig durch:
- ein einmaliges Erlebnis/ eine einmalige Erfahrung, die nachfolgend verallgemeinert wird;
- Aussagen oder interpretierte Aussagen realer oder vermeintlicher Autoritäten;
- Wiederholung;
- in Prägungssituationen (Signifikanten Emotionalen Ereignissen).
Sie sind als solches oft nicht logisch herleitbar, sondern basieren auf der Verallgemeinerung subjektiver Erfahrungen, die zu einer bestimmten Zeit einmal als wahr angenommen wurde und sich nachfolgend herausgebildet hat. Im Alltag oder in einem bestimmten Fachgebiet helfen Glaubenssätze oft dabei, sich in der Welt zu orientieren.
In Summe: Oft werden sie vehement vorgetragen, basieren auf vermeintlichen Expertenaussagen (Autoritäten), eigenen früheren Erfahrungen, einem allgemeinen Hörensagen oder individuellen Theorien, warum etwas so und nicht anders ist. Durch Wiederholungen im Denken, Reden und Handeln festigen sie sich oft im Sinne einer "selffulfilling prophecy" (einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung"). Durch keine der genannten Handlungen allerdings gewinnt ein Glaubenssatz an realer und bewiesener Glaubwürdigkeit und Aussagekraft, sondern bleibt ein Mythos.
Prinzip
Glaubenssätze haben die Fähigkeit, sich selbst zu erhalten. Solange die Hauptaussage erhalten bleibt, sind sie sehr anpassungsfähig und oft logisch nicht widerlegbar.
Orientierung
Glaubenssätze lassen sich in dem Modell der Neurologischen Ebenen der Persönlichkeit/Veränderung auf der 4. Ebene (Glauben/ Werte) lokalisieren.
Veränderung
Um Glaubenssätze, wenn gewünscht, zu verändern, gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, wie z.B.: Glaubenssatzveränderung, Musterunterbrechung, Reframing, Satir-Beliefänderung, Submodalitätenarbeit, Swish, Walking belief change u.A.m..
Hinweis: Zu allen Veränderungsmöglichkeiten sei darauf hingewiesen, dass es sich i.d.R. um einen tieferen Eingriff in die Persönlichkeit (und ihr individuelles "Bild von der Welt") handelt, der nur auf der Basis eines autonomen, selbstinitiierten Wollens vorgenommen werden sollte; eine Glaubenssatzveränderung sollte immer im Vorfeld mit einem Zielsatz vorbereitet und einem Ökologie-Check individuell abgeglichen werden.
Literatur
- Michael Luther: Seminarpaket Kreativitätsmanagement. Frankfurt 2014. ISBN 978-3-86936-533-6
- Michael Luther: Das große Handbuch der Kreativitätsmethoden. Bonn 2013. ISBN 3941965476