Brainstorming klassisch
Das klassische Brainstorming stellt mehr einen "Gattungsbegriff" für eine Gruppe von Ideenfindungs- bzw. Problemlösungstechniken dar, die in der 2. Phase im kreativen Prozess zum Einsatz kommen; als wesentlichstes Merkmal gilt das freie, spontane Gedankenäußern ohne unmittelbare Bewertung, um möglichst viele, neue und ungewöhnliche Ideen zu erzeugen. Gleichzeitig ist es eine Technik des freien Ideensammelns auf Zuruf (nach Osborn, weiterentwickelt durch Clark), unter Beachtung einiger Grundprinzipien und Regeln; die Technik ist vor allem in einer Gruppe sinnvoll, kann aber auch einzeln zum Einsatz kommen.
|
Technikbeschreibung
Ausführung
- Zunächst wird eine Gruppe von 4-12 Personen zusammengestellt, die sich idealerweise heterogen zusammensetzt; größere Gruppen sind möglich, aber schwieriger zu handhaben.
- Die Moderation bzw. die Leitung ist dafür zuständig, die Aufgabenstellung zu benennen bzw. zu visualisieren und sicherzustellen, dass sie von allen Anwesenden verstanden wird.
- Vor dem Start des eigentlichen Brainstormings ist es wichtig, die Gruppe kurz mit der Technik selbst, der Vorgehensweise und den Spielregeln vetraut zu machen!
- Die Aufgabenstellung kann in einer eigenstänmdigen Phase oder vor Beginn des Brainstormings erstellt werden. Sie wird, zweckmäßigerweise als Frage formuliert und für alle sichtbar visualisiert; wichtig: die Qualität einer Brainstorming-Sitzung steht und fällt mit einer konkreten, aufgabenbezogenen und ideenstimulierenden Fragestellung.
- Die Festlegung einer sogenannten Ideenquote (zurückgehend auf Thomas Edison) kann einen positiven Erfolgsdruck erzeugen
- Anschließend sammelt die Gruppe für eine festgesetzte Zeit soviele Ideen wie möglich, wobei alle Ideen auf lauten Zuruf hin für alle sichtbar aufgeschrieben werden; dabei stellt die Moderation sicher, dass alle Beteiligten gehört werden
- Die Moderation/ Leitung soll sich der inhaltlichen Beteiligung enthalten; sie ist dafür veranwortlich, dass alle Ideen berücksichtigt werden und die Gruppensitzung im Rahmen der vereinbarten Regeln abläuft. Wenn notwendig, kann eine Stimulation der Gruppe erforderlich sein, um "ideenarme Phasen" zu überbrücken.
- Wichtig: Die Bewertung der Vorschläge und nachfolgende Auswahl der besten Idee ist streng von der Phase der Ideenfindung zu trennen, weil sie zur Gänze andere Anforderungen an die Beteiligten stellt; diese Trennung kann durch eine Pause, eine Separations-Technik oder die Verlegung auf ein weiteres Treffen geschehen.
Regeln
Die ersten Brainstorming-Regeln gehen auf Osborns Brainstorming-Prinzipien zurück; sie wurden auch bekannt als die ursprünglichen Regeln des divergenten Denkens. Spätere Ergänzungen von Clark, Edison, Luther und anderen beruhten auf Osborns Leitlinien und verfeinerten bzw. ergänzten sie. Die Regeln in der Version des Brainstorming 2.0 sind:
- Quantität vor Qualität - je mehr, desto besser!
- Keine Kritik oder Bewertung - alles ist erlaubt!
- Visualisierung aller Ideen ist ein Muss!
- Anknüpfen ist erlaubt - es gibt kein geistiges Eigentum!
- Je ausgefallener, desto besser - Spinnen ist Pflicht!
- Rahmen ideenfördernd gestalten
- Geistiges Aufwärmen - zur Einschaltung des "Phantasie-Modus"
- Ideenquote festlegen - als Zielvorgabe und Ansporn
- Progressivität nutzen - um Reserven anzuzapfen
Voraussetzungen
- 1 Gruppe (4-12 freiwillige TN); auch in größeren Gruppen möglich
- 1 Moderation, die die Methode kennt - sowie bei größeren Gruppen mindestens 1 zusätzlichen Schreiber
- Zeit: Mindestens 15 min. bis 45 min. empfohlen (bei Variationen auch länger)
- Material: Flipchart, Stifte, Klebeband, ggf. 1 Aufzeichnungsgerät (z.B. Audiorekorder)
- Visualisierung der Regeln
- Ungestörte Atmosphäre (Räumlichkeiten)
Geschichte
Entwicklung
Brainstorming ist eine der klassischsten Ideenfindungstechniken; es wird, weil heute oft fälschlich angewandt, in seinem Wert unterschätzt. Die Ursprünge lassen sich etwa 400 Jahre zurückverfolgen bis in das alte Indien, wo eine vergleichbare Methode unter dem Namen Prai-Barshana bekannt war und von Hindu-Gelehrten angewandt wurde; Osborn benannte seine Neuentwicklung nach dem Prinzip dieser Methode, nämlich "using the brain to storm a problem" (deutsch: Das Gehirn nutzen, um ein Problem zu "erstürmen").
Variationen und Weiterentwicklungen
Im Laufe der Zeit sind viele Variationen mit eigenständigen Namen entstanden, wie z.B. Rawlinson-Brainstorming, Quickstorming, ...; das Prinzip und die Vorgehensweise ist bei einer überwiegenden Anzahl dieser Variationen identisch.
Das Koinonia (nach Michalko) unterscheidet sich in einem Punkt graduell von der klassischen Variante, indem es sich bewusst nur aus Spezialisten aus dem entsprechenden Fachgebiet zusammensetzt - im Gegensatz zu den meisten Brainstorming-Variationen, die bewusst die Hinzuziehung externer "Nicht-Fachleute" empfehlen. Eine weitere von unzähligen Variationen, mit einer graduell eigenen Ausrichtung, ist das Value Brainstorming, bei dem die zugrundeliegenden Werte, z.B. die hinter Vorannahmen und Befürchtungen in Bezug auf ein Problem stehen, erfasst und als Ausgangspunkt eines erweiterten Problemverständnisses für nachfolgende neue Lösungssuchen genutzt werden.
Bei der Variante des Sandwich-Brainstormings wechseln sich Phasen der kollektiven (Gruppen-Brainstorming) und der individuellen (Einzel-Brainstorming) Ideenfindung ab.
Viele weiterführenden Kreativitätstechniken basieren auf den Verfahrensschritten und Regeln des Brainstormings und nutzen, zumindest in einem Verfahrensschritt, das zugrundeliegende Prinzip der freien Assoziation, um Ideen zu generieren. Das gilt insbesondere für die "Derivate" des Brainstormings, die sich z.T. durch die methodische Ausführung unterscheiden und jeweils einen spezielen Aspekt betonen oder hinzufügen; Beispiele hierfür sind:
- das Brainwriting und seine Variationen, bei dem die Ideenfindung in ruhiger, schriftlicher Form stattfindet
- das Brainwalking und seine Variationen, bei dem die Ideenfindung in bewegter Form stattfindet
Die aktuelle Version, das Brainstorming 2.0 (nach Luther) beinhaltet eine Kombination aus methodischen, didaktischen und organisatorischen Prinzipien, mit deren Hilfe die Technik an neue Erkenntnisse, z.B. der Neurologie und der Didaktik, angepasst wurde; das Format BAR-BBQ basiert auf diesen Prinzipien.
Einsatzgebiet
Eignung
Das Brainstorming eignet sich vor allem bei Problem- oder Aufgabenstellungen, denen eine "unscharfe Problemstellung" zugrunde liegt, die die Basis für viele unterschiedlichen Ideen bietet; Beispiel: "Wie lassen sich neue Kunden für das Produkt XY gewinnen?"
Kritik
Zahlreiche Untersuchungen wurden zur Wirkamkeit von Kreativitätstechniken durchgeführt, von denen sich die meisten auf das Brainstorming in seiner ursprünglichen Form, als die bekannteste aller Techniken, bezogen. Viele dieser Untersuchungen kamen zu einem ähnlichen Ergebnis (wie z.B. in einem Bericht in "Bild der Wissenschaft" 1/2005 beschrieben). Sie besagen, dass die traditionelle Brainstorming-Methode nachweislich nichts nütze und führen Studien an, die belegen, dass Kandidaten in Gruppen sich oft gegenseitig blockierten (didaktisch oder inhaltlich); so wurde erwähnt, dass Teilnehmer an Brainstormingsitzungen oft warten mussten, bis ein anderer ausgeredet hatte, was ihre Kreativität hemmte, und dass Einzelkämpfer oft mehr und/ oder bessere Eingebungen als die Gruppe gehabt hätten. Unbeschadet der Richtigkeit dieser Beobachtngen lässt sich feststellen, das in keiner Studie die Rahmenbedingungen organisatorischer, methodischer und didaktischer Art in die Untersuchung miteinflossen und die Durchführung eines möglichen "falschen" Brainstormings in den Ergebnisse unberücksichtigt blieb.
Vor- und Nachteile
Die ursprüngliche Form des Brainstormings kann folgende Vor- und Nachteile haben:
Vorteile
- Viele Ideen können in kurzer Zeit gesammelt werden
- Kann, richtig durchgeführt, eine Gruppe zu enormen geistigen Höhenflügen veranlassen
- Leicht zu handhaben
- Geringer Materialbedarf
- Ortsunabhängig durchführbar
- Initiierung und Nutzung von Synergieeffekten, vor allem in heterogenen Gruppen
Nachteile
- Gewöhnungsbedürftig und daher nicht für jede Gruppe geeignet
- Wird oft fehlerhaft durchgeführt (z.B. wird Kritik oder Bewertung an einzelnen Vorschlägen während der Phase der Ideenfindung zugelassen)
- Unerfahrene Moderatoren brechen oft bereits nach kurzer Zeit ab, wenn erst zu wenige Ideen vorliegen
- Die auftretende "Ruhephase" nach einem anfänglichen Ideensturm wird von weniger erfahrenen Moderatoren oft verwechselt mit einem Versiegen von Ideen, und wird als Grund genommen, die Sitzung zu beenden - obwohl die tieferliegenden Ideen oft erst in der nachfolgenden Vertiefungsphase geäußert werden.
- Liegt schüchternen Teilnehmern eher weniger; die laute Äußerung "unbedachter" Ideen stößt in manchen Kulturkreisen (z.B. Japan) auf Widerstand
- Zu große Gruppen führen oft dazu, dass die Meinung einzelner untergehen bzw. dass Teilnehmer nicht zu Wort kommen oder aus dem Prozess ausklinken
- Weniger geeignet, wenn Spannungen im Team existieren oder die Gefahr besteht, dass der Vorsitzende oder andere Gruppenmitglieder einzelne „verrückte“ Beiträge (und ihre Äußerer) auf's Korn nehmen.
Literatur
- Clark, Charles H.: How to Create Successfull Ideas. Hollywood 1958
- Correll, Linda C.: Brainstorming Reinvented. Thousand Oaks 2007.2
- Higgins, James M. & Wiese, Gerold G.: Innovationsmanagement. Springer-Verlag 1996
- Osborn, Alex F.: Applied Imagination - Principles and Procedures of Creative Problem Solving. New York 1953